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„All In! Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt“

Auszüge aus: "All In! Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt“ von Franz-Josef Radermacher und Bert Beyer. Murmann Verlag, 2024

ALL IN! Das Buch der GES für Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt

V. l. n. r. Bert Beyers, Franz Josef Radermacher

Mitte Oktober 2024 erschien ALL IN! im Hamburger Murmann Verlag. Das Buch trägt den Untertitel „Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt“. Darum geht es: Mehr als 80 Prozent der globalen Energie kommen heute aus Kohle, Gas und Öl. Ein komplett regeneratives und elektrisches Energiesystem (All Electric) ist ein ferner Traum, vielleicht nicht einmal das. Die Zeit drängt. Deshalb müssen wir sofort alle klimaneutralen und sicheren Energiequellen nutzen: Erneuerbare, Fossile mit CO2-Abscheidung und Nuklearenergie – ALL IN! statt All Electric. Denn fossile Emissionen sind das Problem, nicht fossile Energieträger. Klimaneutralität geht nur pragmatisch, technologieoffen und gemeinsam – in einer Symbiose von Technik und Natur. Ob wir den Klimawandel in den Griff bekommen, entscheidet sich nicht in Deutschland oder Europa, nicht einmal in den USA, sondern in China, Indien und Afrika. Klimanationalismus hilft bestenfalls dem eigenen Gewissen. Hier kann man ALL IN! bestellen >>

Die Ökosysteme an Land und in den Ozeanen nehmen permanent Kohlenstoff auf und geben ihn wieder ab. Bei dieser Interaktion spielt die Erdatmosphäre eine wichtige Rolle. Alle drei Bereiche – Land, Ozeane und Erdatmosphäre – sind am Kohlenstoffkreislauf beteiligt, einem komplexen System der Selbstorganisation mit vielen Wechselwirkungen (s. Kap. 4, Abb.17). Durch menschliche Aktivitäten hat sich der CO2 -Gehalt in der Atmosphäre seit1750 um die Hälfte erhöht, obwohl Land und Ozeane schon viel CO2 absorbiert haben. Der Rest unserer Emissionen sammelt sich in der Atmosphäre. Die Folge ist eine historisch einmalige Erwärmung.

Paradoxerweise hilft das entstandene Ungleichgewicht im Kohlenstoffkreislauf aber beim Klimaproblem, denn der erhöhte Anteil von CO2 im Gasgemisch unserer Lufthülle führt zu vermehrter Absorption an Land und in den Ozeanen – teils mit negativen Folgen für die Biosysteme, etwa in Form einer Versauerung der Weltmeere.

In Zahlen: Die weltweit ausgestoßenen CO2– Mengen aus dem energienahen Bereich betragen etwa 39 Milliarden Tonnen pro Jahr. Hinzu kommen jährlich etwa 14 Milliarden Tonnen CO2 zum Teil verursacht durch andere Treibhausgase wie Methan. Natürliche Puffer, wie Ozeane oder Wälder, speichern rund 20 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr und erleichtern so die Bekämpfung des Klimaproblems auf dem Weg zu Net-Zero.

In der Referenzlösung spielen die Beiträge der Natur eine entscheidende Rolle. Einerseits können Emissionen im Bereich der biologischen Systeme reduziert werden, zum Beispiel durch konsequenten Regenwaldschutz und den Schutz der borealen Wälder auf der Nordhalbkugel. Zugleich ist die Absorptionsfähigkeit der Natur noch ausbaufähig, etwa durch Aufforstung und Humusbildung.

Durch Förderung naturbasierter Lösungen werden außerdem zahlreiche Co-Benefits im Sinne der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele erzeugt, etwa die Verbesserung der Biodiversität. Insbesondere entstehen Millionen neuer Arbeitsplätze – bevorzugt im Globalen Süden.

Biosysteme absorbieren mehr CO2 

Niemand weiß bisher genau, wie das Leben auf unserem Planeten entstanden ist. Es ist etwa 4 Milliarden Jahren her, die Erde war zu Beginn noch „wüst und leer“, wie es in der Bibel heißt. Aus einem riesigen Ozean erhoben sich erste Kontinente. Im Dunst einer noch jungen Atmosphäre hing eine rötlich schimmernde Sonne. Irgendwo in dieser unwirklichen Welt hatten sich Atome verkoppelt und Moleküle gebildet, die sich vermehren konnten. Diese frühen Lebensformen haben keine Spuren hinterlassen. Auch deshalb liegt der Beginn des Lebens für uns im Dunkeln. Was wir aber mit Sicherheit sagen können: Kohlenstoff war immer beteiligt.

Im Laufe der Evolution haben Lebewesen gelernt, viele unter­ schiedliche Kohlenstoffverbindungen zu entwickeln, seien es Proteine, Kohlenhydrate, Fette oder Nukleinsäuren. Kohlenstoff ist eines der wandlungsfähigsten chemischen Elemente und kann die meisten Verbindungen eingehen, auch mit Wasserstoff und Sauerstoff. Von besonderer Bedeutung ist das Makromolekül der Desoxyribonukleinsäure (DNA), geformt wie eine Doppelhelix; bei allen Lebewesen trägt es die Erbinformationen. Ob Pflanzen, Pilze, Tiere oder Menschen: Kohlenstoff ist in allen uns bekannten Lebewesen enthalten. Er ist die Grundlage des Lebens.

Jenseits aller lebendigen Prozesse wird der elementare Kohlenstoff aus organischen Kohlenstoffverbindungen gebildet. Wenn große Hitze und Druck zusammenkommen, wird zum Beispiel aus Holz tief im Boden Kohle. Mit weiter steigenden Temperaturen entstehen reine Kohlenstoffverbindungen wie Anthrazit oder Grafit als kristalline Formen des Kohlenstoffs. Diamanten sind Kohlenstoff pur, sie bestehen aus kubisch-kristallisierten Kohlenstoffatomen. Werden fossile Energieträger wie Kohle, Gas oder Öl verbrannt, entsteht das Klimagas CO2.

Es war ein langer Weg, bis unser Planet eine Atmosphäre entwickelt hat. Vor etwa 3 Milliarden Jahren wurde mittels Fotosynthese so viel Sauerstoff produziert, dass sich erste, eng begrenzte Lebensräume in nährstoffreichen Gebieten an den Küsten der Ozeane bildeten.1 Der CO2 -Anteil in der Atmosphäre war gering, entsprechend schwach die Fotosyntheseleistung. Nur sehr allmählich nahm der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre zu.

In der Geschichte des Planeten, lange vor dem Erscheinen des Menschen, kam es immer wieder zu gewaltigen Katastrophen. Das berühmteste Ereignis ist der Einschlag eines Himmelskörpers vor 66 Millionen Jahren auf der Yucatan-Halbinsel im heutigen Mexiko. Riesige Mengen Schwefel und CO2 wurden in die Atmosphäre geschleudert. Es kam zu Feuerstürmen und Temperaturstürzen, Staubwolken verdunkelten die Sonne. Die Folge war ein Massensterben, dem wahrscheinlich auch die Dinosaurier zum Opfer fielen. Allmählich ließen die Auswirkungen des Einschlags in Yukatan nach. Langfristig hat das freigesetzte CO2 zu einer allgemeinen Erwärmung und einer massiven Versauerung der Ozeane geführt.

Kohlendioxid spielt im globalen Kohlenstoffkreislauf des Erdsystems eine entscheidende Rolle. 2 Wie in einem gigantischen Getriebe greifen physikalische, chemische, geologische und biologische Prozesse ineinander. Dabei wird CO2 permanent zwischen der Atmosphäre, den Ozeanen und der Oberfläche der Kontinente ausgetauscht. Die Vegetation an Land, zum Beispiel Wald, dient als Senke. In der Biomasse oder im Holz, auch in den Wurzeln und im Boden wird der Kohlenstoff bio-chemisch umgewandelt und zum Teil länger gespeichert. Geht ein Baum in Flammen auf oder vermodert, wird der Kohlenstoff als CO2 wieder in die Atmosphäre entlassen: Die Senke wird zur Quelle. Vergleichbare Prozesse finden in den Ozeanen statt. Sie können ebenfalls CO2 absorbieren und in Form von absterbendem Plankton auf dem Meeresboden einlagern. Dieser Austausch zwischen Ozeanen, der Landbiosphäre und der Atmosphäre wird auch als „schneller Kohlenstoffkreislauf“ bezeichnet. Die Kohlenstoffatome wandern teilweise innerhalb von Minuten zwischen den Ökosystemen hin und her; der Austausch kann aber auch Jahrhunderte und Jahrtausende dauern. Fossiler Kohlenstoff in Form von Kohle, Gas und Öl wird über deutlich größere Zeiträume in tieferen Erdschichten eingelagert, oft über Millionen Jahre und mehr.3 Das ist der sogenannte „langsame Kohlenstoffkreislauf“.

Bei der Einlagerung von Kohlenstoff in Biomasse oder Holz spielt die Fotosynthese der Pflanzen die entscheidende Rolle. Die Energie der Sonne wird genutzt, um CO2 aus der Atmosphäre und Wasser in Glukose (Einfachzucker) umzuwandeln. Dabei wird Sauerstoff freigesetzt. Etwa die Hälfte dieses Zuckers braucht die Pflanze, um zu wachsen oder Nährstoffe und Wasser zu transportieren; man sagt auch, dass die Pflanze diesen Anteil „veratmet“. Die verbleibende Hälfte des Zuckers wird zu Blättern, Nadeln, Holz oder Wurzeln. Das ist die sogenannte Nettoprimärproduktion, sie entspricht der Kohlenstoffspeicherrate eines Ökosystems. Die Prozesse variieren je nach Pflanzenart, ob Baum, Busch oder Gras. Und auch die Umweltbedingungen wie Klima, Wasser oder Nährstoffangebot sind maßgebend für die Fotosynthese und die Produktion von Biomasse. 4

Die Fotosynthese ist einer der wichtigsten Prozesse in der Natur. Erst diese Leistung der Pflanzen hat über einen langen Zeitraum dazu geführt, dass die Atmosphäre mit Sauerstoff angereichert wurde. Der Fotosynthese ist es zu verdanken, dass die Oberfläche des Planeten sich über Hunderte Millionen Jahre von einem unwirtlichen Ort in ein sich selbst reproduzierendes und regulierendes System verwandelt hat, mit der ganzen Vielfalt und Schönheit der Natur, die wir heute kennen.

Die Fotosynthese ist eine Abfolge biochemischer Reaktionen, bei der die Pflanzen unter Nutzung von Licht, CO2 und Wasser Zuckermoleküle synthetisieren und letztlich in Biomasse und Sauerstoff umwandeln. Dieser natürliche Prozess ist äußerst ineffizient…

Endnoten

1 Frankopan, Peter: Zwischen Erde und Himmel. Klima eine Menschheitsgeschichte. Berlin 2023.

2 Chrisp, David; Dolman, Han; Tanhua, Toste; McKinley, Galen A.; Hauck, Judith; Bastos, Ana; Sitch, Stephen; Eggleston, Simon; Aich, Valentin: ,,How Weil Do We Understand the Land-Ocean-Atmosphere Carbon Cycle?“In: Reviews of Geophysics, 2022. Im Internet unter https://doi.org/10.1029/2021RG000736. Aufgerufen am 23. Mai 2024.

3 Heimann, Martin: ,,Der globale Kohlenstoffkreislauf: Eine Einführung“. In: Deutscher Wetterdienst (Hrsg.), promet Meteorologische Fortbildung, Heft 105 (2022), S. 3.

4 Zaehle, Sönke: ,,Prozesse des Landkohlenstoffkreislaufs“. In: Deutscher Wetterdienst (Hrsg.), promet Meteorologische Fortbildung, Heft 105 (2022), S.11.

In jeder Minute schleudert die Sonne gewaltige Mengen Energie in das Sonnensystem. Auch auf unserem Planeten, der Erde, ist das Potenzial der erneuerbaren Energien riesig. Im Mittelalter haben die Menschen ein Energiesystem hervorgebracht, das sich fast ausschließlich aus Sonnenenergie speiste: Wind, Wasser und Biomasse. Mit der Industriellen Revolution gelang es dann, geronnene Sonnenenergie, die seit Millionen Jahren in der Erdkruste lagerte, in großem Maßstab zu erschließen. Dies war zuerst die Kohle, der „unterirdische Wald. Fossile Depots haben den Vorteil, dass die Energie in konzentrierter Form vorliegt. Außerdem ist sie gut handhabbar, insbesondere gut lagerbar und gut zu transportieren. Der Unterschied zu elektrischer Energie ist offensichtlich. Die genannten Vorteile zeigten sich später auch bei Öl und Gas. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hatte die Menschheit Energie im Überfluss.

Energie ist der Schlüssel für ökonomische Entwicklung. Die Zahl der Menschen hat sich seit der (ersten) Industriellen Revolution fast verzehnfacht, der Wohlstand verhundertfacht. Auch heute machen die fossilen Depots mit mehr als 80 Prozent den Löwenanteil bei der globalen Primärenergie aus.14 Prozent kommen derzeit aus Erneuerbaren, davon alleine 6 Prozent aus Wasserkraft. Hinzu kommen 4 Prozent der Primärenergie aus Nuklearenergie (s. Kap. 4, Abb.1). Auch die Wertschöpfungsketten von Massengütern wie Beton, Stahl, Ammoniak oder Kunststoffe werden mit Kohle, Gas und Öl befeuert. Wir leben bis heute in einer fossilbasierten Zivilisation. Der Klimawandel schreitet ungebremst voran.

Der Gamechanger ist eine Technologie, mit der das Klimagas CO2 abgeschieden und entsorgt werden kann. Mit Carbon Capture besteht die Möglichkeit, den Kohlenstoffkreislauf wieder zu schließen. Kohlenstoff geht dorthin zurück, wo er zuvor entnommen wurde: in die Erdkruste (s. Kap. 4, Abb. 18). Damit besteht die Chance, die Vorteile von Kohle, Gas und Öl für längere Zeit weiter zu nutzen – ohne zusätzlichen Klimaeffekt – , denn das Problem sind nicht fossile Energieträger, sondern fossile CO2 -Emissionen. Unter Nutzung von CO2 kann man auch synthetische Kraftstoffe produzieren. Das fossile Zeitalter wird wohl irgendwann zu Ende gehen, aber das wird noch dauern. Carbon Capture verschafft uns die Zeit, die wir für den Ausbau zukunftsfähiger Energiesysteme benötigen – vielleicht mit Technologien, die wir heute noch gar nicht kennen. 

Erneuerbare früher

Die Windmühle ist eine Erfindung des Mittelalters. Sie verfügt über eine horizontale Achse, um die sich die Flügel drehen, hinzu kommt ein Mechanismus, der die Mühle im Wind hält.33 Das Grundprinzip gilt bis heute. Windmühlen fanden sich früher hauptsächlich in den Küstenregionen Nordeuropas, dort nutzten sie die vom Atlantik kommenden Westwinde. Bis heute verbinden wir Windmühlen mit der Kultur der Niederlande. Dort weist die Landschaft keine nennenswerten Höhenunterschiede auf, sodass der Wind ungehindert bläst. Für die Entwicklung der Wasserkraft suchten sich die Ingenieure andere geografische Gegebenheiten. Im Ergebnis hat das Mittelalter ein leistungsfähiges technisches System hervorgebracht, das sich fast ausschließlich aus regenerativ erzeugter Energie speiste – ob Wind- oder Wassermühle, ob Holz zum Heizen oder Holzkohle für die Metallverarbeitung, nicht zu vergessen die tierische Zugkraft. Alle diese Energieformen sind solaren Ursprungs und in den globalen Kohlenstoffkreislauf eingebunden. In der Geschichte war das technische System des Mittelalters ein riesiger Fortschritt. Es lebte vom Fluss der natürlichen Ressourcen, nicht von der Nutzung der endlichen Depots fossiler Energieträger.34

Wenn Energie knapp ist, ist alles knapp. Über Jahrhunderte war der Alltag der meisten Menschen von Armut und Hunger geprägt. Das änderte sich auch im Mittelalter kaum, denn auch die regenerativen Energien waren begrenzt. Die solar basierten Agrargesellschaften schalteten sich über Flächen in Stoff- und Energieflüsse ein. Zum Beispiel Weideflächen, die das Futter für die Muskelkraft der Tiere lieferten. Die natürlichen Bestände in diesen ökologischen Systemen sind jedoch klein. Selbst Wälder, worin die Biomasse immerhin für einige Jahrzehnte gespeichert wird, konnte man nicht über die Maße nutzen, ohne sie zu zerstören. Holz war nicht nur eine zentrale Energieressource, sondern zugleich Material für den Bau von Häusern, für technische Geräte und Grundlage des Bergbaus, der Metallgewinnung, für Salinen und nicht zuletzt für das Kriegshandwerk. Für eine einzige Galeone, ein hochseetaugliches Handels- oder Kriegsschiff, benötigte man 2000 Eichenstämme beziehungsweise 20 Hektar Wald.35 Holz war Wirtschaftsfaktor und Energielieferant zugleich, so wie heute das Öl. Der Mangel an Holz war ein gravierendes und über Jahrhunderte wiederkehrendes Problem. Im Mittelalter behauptete sich Venedig als die vorherrschende Macht am Mittelmeer, der Holzbedarf für die Handels- und Kriegsflotte war extrem hoch. Das Kraftzentrum der Republik war die venezianische Werftanlage, das sogenannte Arsenal, das größte industrielle Areal des alten Europas, in dem in der Glanzzeit Venedigs Tausende Menschen zu Tages- wie Nachtzeiten arbeiteten. Die venezianische Forstgesetzgebung stellte die eigenen Wälder entlang der Piave, die in die Lagune der Stadt mündet, rigoros unter Schutz. Also musste das Holz importiert werden.36

Das venezianische Werftareal hatte der junge Hans Carl von Carlowitz auf ausgedehnten Reisen kennengelernt. Später wurde er sächsischer Oberberghauptmann und war verantwortlich für die stetige Belieferung des Silberbergbaus in Sachsen mit Holz – der Silberbergbau war die Grundlage für die Staatsfinanzen des Kurfürstentums. Der Engpass war nicht das Erz, sondern die Holzkohle für den Schmelzofen. Von Carlowitz gilt heute für viele in Deutschland als Vater der Nachhaltigkeit. Für ihn ist Holz so wichtig wie das tägliche Brot. Er forderte, wie andere schon vor ihm, dass der Wald pfleglich und behutsam zu behandeln sei und nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie nachwächst. Er sah aber nicht nur die ökologische, sondern auch die soziale und die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit – eine dauerhafte Balance dynamischer Fließgleichgewichte. Die Übernutzung der Wälder führte zu großen Problemen, etwa der Verkarstung ganzer Landstriche rund um das Mittelmeer. Ein weiteres Beispiel für die dramatischen Folgen einer Ressourcenübernutzung ist die Osterinsel.37 Die Fällung von mehr als 10 Millionen Palmen im 17. Jahrhundert führte zu starker Erosion, zu Hungersnöten, Konflikten und zum Schrumpfen der Bevölkerung von geschätzten 15.000 bis 17.000 Menschen auf unter 3000 bei Ankunft der Europäer im Jahr 1722. Aufforstungsversuche des verödeten Graslandes mit schnell wachsendem Eukalyptus sind bis heute weitgehend erfolglos. Auch die schottischen Highlands, deren karge Schönheit wir heute bewundern, sind das Ergebnis eines vollständigen Raubbaus: Sie waren einmal dicht bewaldet. Von Carlowitz selbst erlebte die Lösung des Holzmangelproblems nicht mehr. Seine Betonung einer Sorgfaltspflicht gegenüber den Wäldern hatte nicht viel bewirkt, die Macht des Faktischen war viel zu stark. Der Durchbruch kam erst mit der Industriellen Revolution, als man die Dampfmaschine im Bergbau einsetzte, um Kohle – den „unterirdischen Wald“ – zu fördern. Jahrhundertelang wurde die Kohle von Menschen aus der Tiefe heraufgeschleppt, das Sickerwasser musste mithilfe von Pferdekraft ausgeschöpft werden. Der Bau einer Maschine, die die Energie der Kohle nutzte, um den eigenen Kraftstoff zu fördern, führte auf technischer und ökonomischer Seite zu vielen positiven Rückkopplungen und im weiteren Verlauf zu einem neuen technischen System: dem Zeitalter fossiler Energieträger und damit zu einer großen Entlastung der Holzressourcen.

Endnoten

33 Neirynck, Jacques: Der göttliche Ingenieur. Renningen-Malsheim 1998.

34 Radermacher, Franz Josef; Beyers, Bert: Welt mit Zukun~. Hamburg 2013.

35 Frankopan, Peter: Zwischen Erde und Himmel. Klima eine Menschheitsgeschichte. Berlin 2023.

36 Radermacher, Franz, Josef: „Die Ressourcen der Erde setzen uns Grenzen – Vom sächsischen Bergmann Hans Carl von Carlowitz 1713 bis zum neuen Club of Rome Report 2052“. In: Sächsische Carlowitz-Gesellschaft (Hrsg.), Die Erfindung der Nachhaltigkeit, München 2013.

37 V. Rull et al.: “Paleoecology of Easter Island: Evidence and uncertainties.” In: Earth-Science Reviews, Bd. 99 (April 2010), Hefte 1-2, S. 50-60.

Strom hat viele Vorteile. Im Alltag ist er effizient, sauber und komfortabel. Während der vergangenen 150 Jahre ist die Elektrifizierung in Haushalten und in der Industrie immer weiter vorangeschritten. Strom wurde zur wichtigsten Energieform der modernen Zivilisation. Durch Elektroautos, Wärmepumpen und die Digitalisierung aller Lebensbereiche wird die Nachfrage noch zunehmen. Gegenwärtig liegt der Stromanteil am globalen Endenergieverbrauch bei rund 20 Prozent – Tendenz steigend.

In den vergangenen Jahren ist eine politische Strategie entstanden, die den Trend der Elektrifizierung aufgreift und zuspitzt. Erneuerbare, vor allem Sonne und Wind, sollen massiv ausgebaut werden, bis sie in der Lage sind, Kohle, Gas und Öl vollständig zu ersetzen. Die fossilen Energieträger sollen „einfach im Boden bleiben“ (Defossilisierung). Nach dieser Theorie sollen möglichst viele Prozesse elektrisch betrieben werden, mit Elektronen. Wo dies nicht möglich ist, zum Beispiel in der Stahlindustrie, kommen strombasierte Moleküle zum Einsatz: Wasserstoff und seine Derivate, aber bitte nur grüner Wasserstoff. Er entsteht ausschließlich über erneuerbare Energie, vor allem Solar- und Windenergie. Die Monopolstruktur der volatilen Erneuerbaren wird so abgesichert. Das ist die All-Electric-Philosophie oder genauer gesagt All Electric mit strikter Defossilisierung.

Wir halten einen Vollausbau der volatilen Erneuerbaren – wie viele andere Beobachter – für kontraproduktiv und viel zu teuer. Dieser Weg ist nicht nur unrealistisch, sondern auf globaler Ebene technisch ausgeschlossen. Ein Engpass entsteht durch die zu geringe Geschwindigkeit beim Ausbau von Elektrolyseuren. Elektrolyse-Wasserstoff ist nach der All-Electric-Philosophie die einzige zulässige Methode, um in großem Umfang speicherbare Energie bereitzustellen.

Große Widerstände gegen All Electric gibt es auch auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Die Forderung nach einer vollständigen Defossilisierung ist ein frontaler Angriff auf die Förderländer von Kohle, Gas und Öl. Sie werden ihr Geschäftsmodell verteidigen, im Zweifel militärisch. Dass der Markt den Übergang friedlich herbeiführen könnte, weil volatile Erneuerbare immer preiswerter würden, ist Wunschdenken.

Norwegen zeigt exemplarisch, wie ein Kompromiss aussehen kann. Einerseits vergibt das Land weiter Förderlizenzen für Gas und Öl. Andererseits entwickelt es ein Geschäftsmodell rund um die Abscheidung und Entsorgung von CO2• Carbon Capture stellt dabei einen klugen Kompromiss zwischen extremen Positionen dar und zeigt einen gangbaren Weg in Richtung Net Zero.

In der Folge der ersten weltweiten Umweltkonferenz 1972 in Stockholm ist über mehrere Entwicklungsschritte schließlich die Agenda 2030 entstanden, die 2016 in Kraft trat. Sie enthält die international abgestimmten, rechtlich jedoch unverbindlichen 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG). Es geht um das Wohl aller Menschen auf der Welt (Ziele 1-6), wirtschaftliche Ziele (Ziele 7-12), Klima- und Umweltschutz (Ziele 13-15) sowie um hilfreiche oder gar unbedingt not­wendige Voraussetzungen auf der Governance-Seite für eine erfolgreiche Zielerreichung (Ziele 16 und 17).

Leider ist die Weltgemeinschaft meilenweit davon entfernt, die Nachhaltigkeitsziele Realität werden zu lassen. Bei Lichte betrachtet, wird die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer größer. Eine der Ursachen ist die wachsende Weltbevölkerung. Auch das nachvollziehbare weltweite Streben nach Wohlstand verschärft die Schwierigkeiten auf der Umwelt- und Klimaseite. Ein weiterer Grund für die sich abzeichnende Nichtumsetzung der Agenda 2030 ist der unzureichende Technologietransfer von Nord nach Süd. Wie immer gibt es große Defizite bei der Finanzierung. Zwar wurde bei den staatlichen Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit 2022 erstmals die Schwelle von 200 Milliarden US-Dollar überschritten, doch dies ist alleine darauf zurückzuführen, dass erhebliche Mittel für ukrainische Flüchtlinge aufgebracht wurden und auch die Ukraine als Land umfangreiche finanzielle Unterstützung insbesondere von westlichen Gebern erhalten hat, die als Mittel für Entwicklungszusammenarbeit deklariert wurden.127 In einer Gesamtbetrachtung ist mit der Formulierung „From Billions to Trillions“ beschrieben, in welcher Größenordnung unverändert Geldmittel insbesondere für eine Co-Finanzierung der Entwicklungs- und Schwellenländer fehlen. Erforderlich ist mehr als das Zehnfache von dem, was heute eingesetzt wird.

Viele Menschen vergessen die internationale Dimension und die Notwendigkeit globaler Kooperation und widmen sich beim Klima­ und Umweltschutz alleine heimischen Maßnahmen. Schließlich sind die internationalen Ziele rechtlich nicht verbindlich, und es gibt keinerlei Sanktionen, wenn sie nicht erreicht werden. Fortschritte sind nur dann zu erwarten, wenn gemeinsame Wege in die Zukunft beschritten werden, denen alle zustimmen können, weil sie als fair empfunden werden und allen Beteiligten Vorteile bringen.128 Mit der Agenda 2030 weiß die Welt also durchaus, was sie gerne erreichen würde – zumindest auf der Ebene der Worte. Aber Träume sind preiswert, die Umsetzung ist das eigentliche Problem.

Endnoten

127 OECD – Organization for Economic Cooperation and Development (OECD), ,,Official Development_Assistance (ODA) in 2022“. Im Internet unter https://www.oecd.org/ dac/financing-sustainable-de- velopment/development-finance-standards/offi­ cial-development-assistance.htm. Aufgerufen am 23. Mai 2024.

128 Vgl. Herlyn, E. et al.(Hrsg.): Multi-Akteurs-Netzwerke: Kooperation als Chance für die Umsetzung der Agenda 2003, Heidelberg 2023. Im Internet unter https://link.sprin­ ger.com/book/10.1007/978-3-658-38523-1.

Wir nähern uns dem Kern der Referenzlösung. Sie enthält einige allgemeingültige Lösungen, die unabhängig von örtlichen Gegebenheiten gelten. Dazu zählen die große Bedeutung von klimaneutralen Treibstoffen und die Notwendigkeit eines Stromsystems auf zwei Säulen: einer volatilen, wenn Wind- und Sonnenkraft zum Einsatz kommen, und einer dauerhaft stabilen und regelbaren Säule, etwa Gaskraftwerke mit Carbon Capture oder Nuklearenergie – ALL IN!

Die Referenzlösung hat zugleich einen regionalen Schwerpunkt, nämlich den Globalen Süden. Denn so viel ist klar: Nicht in Deutschland, nicht in Europa, nicht in den OECD-Ländern, nicht in den Vereinigten Staaten und auch nicht in aufstrebenden Ländern wie China oder Saudi-Arabien wird die Klimafrage entschieden. Die großen Herausforderungen warten in den weiteren Entwicklungs- und Schwellenländern. Falls ihnen kein Armutsregime aufgezwungen wird, werden dort die Wachstumssprünge der nächsten Jahrzehnte stattfinden: demografisch, wirtschaftlich und energetisch.

Die Referenzlösung enthält deshalb Maßnahmenpakete für die Challenge-Länder mit einem Doppelziel: Entwicklung anschieben und Klimaneutralität erreichen. Zu Ende gedacht geht es um einen Ansatz, von dem die ganze Welt profitieren kann. Wir sehen für die Challenge-Länder ein mittleres jährliches Wirtschaftswachstum (BIP-Wachstum) von 6 Prozent und eines von 7 Prozent für die ärmsten Länder (Least Developed Countries) vor. Das ist viel, aber bei weitem nicht so viel wie China während der vergangenen Jahrzehnte erreicht hat. Alle Challenge-Länder sollen sich industrialisieren können, wenn sie das wünschen, und das alles perspektivisch im Rahmen von Net Zero.

Dafür braucht es geeignete Maßnahmen, zentral ist dabei der Auf­ und Umbau des Energiesystems. Hinzu kommen naturbasierte Lösungen, zum Beispiel Regenwaldschutz, aber auch weitere land- und forstwirtschaftliche Maßnahmen – ALL IN! Das Maßnahmenpaket erstreckt sich über den langen Zeitraum von 2025 bis 2070, also 45 Jahre. Das ist nicht nur ambitioniert, darin steckt auch eine Vision von globaler Kooperation. Wahrscheinlich geht es nur so, wenn man eine friedliche Entwicklung im 21. Jahrhundert erreichen will.

Keine einfachen Lösungen

In den Weiten der isländischen Gerölllandschaft stehen drei stählerne Kuppeln. Sie sind mit Bullaugen versehen und erinnern an Raumkapseln. Zu diesen Kuppeln führen Rohre mit Flüssigkeiten, worin CO2 gelöst ist. Im Inneren der Stahlkuppeln werden die Rohre in den Boden umgelenkt. Der Untergrund von Island besteht überwiegend aus Basaltgestein. Dorthinein wird das CO2 verpresst, Hunderte Meter tief. Es mineralisiert dort unten und verwandelt sich in wenigen Monaten zu Stein. Die Technikgilt als sehr sicher.

Vulkanische Basaltgesteine sind weltweit verbreitet. Deshalb gibt es theoretisch keine Kapazitätsprobleme für die Lagerung von CO2. Die isländische Firma Carbfix 166 nennt Kosten für die Lagerung von1 Tonne CO2 in Gestein von 20 bis 30 US-Dollar. Auch Island will, ähnlich wie Norwegen und Dänemark, in das Geschäft der Lagerung von CO2 einsteigen. Künftig soll das Klimagas in großem Stil von Industriekunden per Schiff nach Island gebracht werden, um es dort im Untergrund zu entsorgen…

Endnoten

166 Carbfix,  im Internet unter https://www.carbfix.com. Aufgerufen am 23. Mai 2024.

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